Prof. Dr. Werner Zabel

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Von der Aufgabe, die vor uns liegt, und dem Weg, der uns formte

Prof. Dr. Werner Zabel

In einer seltsamen Verblendung wächst im Menschen von dem Augenblick an, in dem die Vorstellung vom beständigen Fortschritt und der Beherrschung der Natur und der Materie die Grundlage seiner Einsicht bildet, eine dauernde Fehlbeurteilung der Gesamtlage.

Eine erschreckende Veränderung des Begriffes "Glück" - eines Erlebnisses, das den früheren Geschlechtern noch deutlich wurde als das Erlebnis tiefen inneren Friedens und einer Verbundenheit mit der Natur - ist jetzt eingetreten. "Glück" bedeutet ihm jetzt Erleichterung der täglichen Pflichten, vermehrte Sicherheit, Wohlfahrt, Entfaltung des Ichs, Bequemlichkeit, Erfüllung von äußerlichen Wünschen sowie Beherrschung der äußeren Dinge. Unbewußt wächst vom Eindringen dieser Bewußtseinshälfte das Gefühl einer Macht über das Leben und über die Natur im Menschen.

All das, was ihn hier durch Maschine und Technik ergreift, das erleichtert ganz gewiß die äußere Auseinandersetzung mit dem Leben, aber es engt die Ursprünglichkeit seines Erlebens ein, ebenso wie die Erlebniskraft seines Geistes. Unversehens tritt eine Übersättigung, ein inneres Nichtverdauen ein, also die Unmöglichkeit, das, was dem Menschen äußerlich zur Verfügung steht, auch geistig zu verarbeiten. Es wird ihm unmöglich, die Ordnung der Werte - außen und innen! - zu erkennen.

Jedes Übermaß an äußeren Möglichkeiten verhindert den Menschen, diese Gegebenheiten nach letzten Maßen einzuordnen. Er ist nicht mehr imstande, die Dinge wesentlich zu ordnen, sondern die Dinge ergreifen ihn; sie rauben ihm seine Freiheit. 

Der Mensch braucht keine Angst mehr vor der Natur zu haben, aber er wird, will er weiter bestehen, lernen müssen, vor Gegebenheiten in sich Angst zu empfinden.

Er beherrscht gewiß die Natur, hat weitgehend Macht über sie bekommen, aber mit der verliehenen Macht entsteht die Urfrage allen menschlichen Schicksals: Wozu gebraucht der Mensch die Macht?

Gebraucht er die Macht, um sein Ich zu stärken, oder gebraucht er sie, um den göttlichen Auftrag, der an den Menschen erteilt wurde, zu erfüllen?

Die Auseinandersetzung mit der Macht, die jeder Mensch zu führen hat, sind sein Urproblem, das immer wieder verkannt wird.

Die Gefahren der Macht sind nicht siegreich zu überwinden mit Vernunft oder sittlichen Richtlinien - denn das ist ein tödlicher Irrtum -, sondern diese Gefahren sind allein siegreich zu bestehen durch eine tiefgründige Ausweitung des Bewußtseins.

Nur der Mensch, der wirklich weiß, was Menschsein ist, nämlich Werkzeug eines höheren Seins zu sein, ist imstande, die Frage "Macht, und wozu?" richtig zu beantworten.

Die Vernunft führt ihn nicht zum Ziel; sittliche Anweisungen langen hier nicht aus. Es ist eine Frage des Bewußtseins, um hier nicht zu straucheln.

Es ist auch ein Irrwahn zu glauben, daß man die Menschen durch Erziehung dazu bringen könnte, den Fallstricken der Macht zu entgehen. Ohne Erziehung wird kein Mensch, aber die wesentlichen Entscheidungen werden nur vor den letzten Bildern eines tiefsten Bewußtseins richtig gefällt.

Nicht durch logische Schlüsse, nicht durch das Auswendiglernen - selbst nicht durch Anerkennung - ethischer Dogmen!

Mit dem unerhörten Erlebnis einer überragenden Macht der Materie gegenüber wächst im Menschen, ergreift den Menschen eine weitere drohende Gefahr, nämlich das Bewußtsein, er könne alles, weil er der Materie gegenüber tatsächlich schon unerhört viel kann.

Füllen diese Gegebenheiten sein Bewußtsein aus, so verdrängen sie zu gleicher Zeit das wesentliche Bewußtsein, das nur der Mensch erringen kann. Wenn technische Beherrschung der Umwelt schon Ausweis für Menschlichkeit wäre, dann hätten wir die grauenhaften Erlebnisse in den letzten Jahrzehnten nicht nötig gehabt.

Der geringste Ausweis des Menschseins ist sein Verstand -, der höchste das Bewußtsein davon, was es heißt, Mensch zu sein.

In der Vorstellung, die heute so allgemein geworden ist, "wenn wir nur lange genug forschen, unentwegt wissenschaftlich arbeiten, dann können wir alles, was wir wollen", steckt eine echte Hybris! Wir können heute mit einer Geschwindigkeit von 200 Stundenkilometern über die Autobahn fahren. Wir können heute Im Fliegen die Schallgrenze durchbrechen; aber die Katastrophen bleiben nicht aus. Sie werden im Quadrat ansteigen in dem Maße, in dem wir alle diese Dinge nicht im Koordinatensystem eines vertieften Bewußtseins einordnen können. - Wir können heute Atome spalten, sind aber selbst in unseren führenden Geistern so unklar, arm und machtlos geworden, daß sie wohl den Atomen befehlen, aber nicht mehr sich selbst, so daß die Menschheit an diesem Fortschritt zugrunde geht.

So wird der Mensch Sklave seiner eigenen Macht; der gefährlichste - und der erbärmlichste - Sklave, den die Menschheit je kennengelernt hat, denn dieser Sklave weiß nicht, daß er Sklave ist.

Ein seltsames Verhängnis bahnt sich an, daß erst dann überwunden werden kann, wenn die wirklichen Zusammenhänge klar in das Bewußtsein des Menschen eingehen. Es handelt sich darum, das Wesen der Macht richtig zu erkennen. Die Macht, die uns das Göttliche gegeben hat, ist im Augenblick mißbraucht, indem die gegebene Macht nicht Gott, sondern dem Ich zur Verfügung gestellt wird.

Dieser Machtrausch ist auch heute so verbreitet, daß der Mensch es gar nicht für möglich hält, daß der, der mit Macht herrschen will, am tiefsten selber beherrscht wird.

Die Quelle aller Macht ist das Göttliche, und der Strom, der von ihr ausgeht, wird - wenn er nicht vom Menschen bewußt wieder zu seinem Ursprung zurückgeleitet wird - diesen Menschen zerstören.

Wissenschaft und Technik liefern kein Glück! - Es sein denn, das, was sie geben, werde maßvoll und sinnvoll angewendet. Die Fülle der Verbrauchsgüter, verlockende Möglichkeiten der Bequemlichkeit, der Erfüllung jedes äußeren Wunsches, drängt in solcher Überzahl auf den Menschen ein, daß er sie nicht bewältigt, weder innerlich noch wesentlich. Er vermag keine Ordnung in sie zu bringen, er vermag ihnen gegenüber nicht mehr in der Freiheit der eigenen Entscheidungen zu leben.

Wesentliche tiefe Kräfte des Menschen werden in dem Bestreben, die Natur zu beherrschen und damit sein Ich zu blähen, verschwendet.

Das Wesentliche im Menschen ist das Bewußtwerden seines Verhältnisses zum Göttlichen, denn nur daraus wächst tiefer, innerer Friede, Befreiung von Angst, und jene Weisheit, die mehr ist als Vernunft.

Auch der Mensch hat als Einzelwesen nur ein gemessenes Quantum an Energie, und der heutige Mensch lenkt die Energie fast ausschließlich in unwesentliche Bereiche, in die Beherrschung des äußeren Lebens, während die Energie, die der Mensch notwendig hätte, um Mensch zu werden, so nicht mehr zur Verfügung steht. Die Hinwendung des Bewußtseins nach außen zu entspricht der Verödung aller Fähigkeiten.

Es entspricht der Lärm des heuten Lebens in seinem Übermaß dem Mangel an Stille, Ruhe und Schweigen im Menschen selber.

Dem Übermaß an Zerstreuung entspricht der tödliche Mangel innerer Sammlung.

Dem Übermaß an Überarbeitung und Hetze entspricht die Unfähigkeit zur schöpferischen Pause, zur Ruhe und zur Sammlung,

Der Mensch hat so sehr sich selber verloren, daß er mit allem und jedem seine Gegenwart teilen kann, nur nicht mehr mit sich selbst.

Der Mensch hat verlernt, allein zu sein in einer Ausrichtung auf die höchsten Maßstäbe, die ihn allein zum Menschen machen.

Der Weg nach innen ist dem Menschen verschüttet. Der Weg nach außen offenbart sich ihm als eine Halde, auf der er immer mehr ins Rutschen kommt.

Das vielgepriesene Denken, die Vernunft, die seit der Französischen Revolution Gottes Thron innehat, ist leider kein Hilfsmittel, den Verlust am Menschsein seinem Träger bewußt zu machen, sonst hätten nicht die Exponenten höchster Intelligenz darauf gedrängt, die Atombombe im Kriege einzusetzen.

Die heutige Entwicklung der Naturwissenschaft verdunkelt das Menschsein; sie erst muß überwunden werden. Nicht in dem Sinne, daß man alles Errungene auslöscht - was ja ebenso kindisch wie unmöglich wäre -, sondern in dem Sinne, daß man es ordnet, daß man zu Gebrauch statt Mißbrauch kommt, daß man das Primat den wesentlichen Möglichkeiten des Menschen wieder zurückgibt, daß man dem verhängnisvollen Abgleiten nach außen alle jene Übungen eines Weges nach innen entgegensetzt. Daß man nicht das Wissen wachsen läßt zuungunsten des Wesens, daß man nicht alles nach außen verlagert, wo der Weg nach innen wesentlich ist, daß man das Erkennen nicht nur auf das Äußere richtet, sondern auch auf das Innere.

Wo die Energien des Erkennens nur nach außen fließen, werden die wesentlichen Zusammenhänge blaß und verschwinden schließlich ganz. Die immer vermehrte Bewußtseinshinwendung nach außen läßt den Menschen nur mehr Einzelheiten, nicht mehr das Ganze erkennen. So wird sein Tun immer mehr Unwesen - und Sein und Wesen ersterben. Er wird keinen Sinn mehr erfahren, sondern nur noch Einzelheiten registrieren.

Er findet in sich nicht mehr Stille und Ruhe, sondern nur noch Lärm - In und um sich.

Das Wissen wächst, und die Wahrheit wird vergessen.

Das Erkennen wendet sich immer neuen, nebensächlichen Einzelheiten zu. Man stellt immer mehr fest, und man erfährt doch immer weniger. Je mehr Reize, um so mehr Oberfläche kann nur noch bewußt werden. Je mehr Oberfläche, um so weniger Tiefe wird erlebt. Je mehr Wissen über Einzelheiten der Mensch erringt, um so weniger ist ihm jene Weisheit noch zu eigen, die alles zusammenfaßt.

Aber es ist der Weg, der vor uns liegt, das, was uns gegeben ist, in andere Bahnen zu lenken.

 

 


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