WILHELM von BREHMERund die von ihm beschriebenen BlutmikrobenEine kritische Würdigung und Standortbestimmung von Dr. med. Karl Windstosser SANUM- Post 19/92 WILHELM von BREHMER (1883-1958), Dr. phil., war zunächst Mitarbeiter des Anatomischen Forschungsinstituts für Kartoffelanbau, dann Leiter des Pathologisch-anatomisch-mikrochemischen Laboratoriums der Biologischen Reichsanstalt in Berlin-Dahlem. Er widmete sich dort der Virusforschung bei Erkrankungen der Pflanzen und Tiere. Als er in diesem Zusammenhang auch menschliches Blut untersuchte, entdeckte er 1928 darin teils unbewegliche, teils bewegliche Mikroorganismen, denen er ihrer Vielgestaltigkeit wegen den Namen "Siphonospora polymorpha" gab. Er berichtete hierüber erstmals 1932 gelegentlich des Internationalen Kongresses für vergleichende Pathologie in Paris, im gleichen Jahr auch bereits über den Zusammenhang dieses Blutparasiten mit pH-Änderungen seines Milieus. Bei seinen Untersuchungen bediente sich v. BREHMER des in Zusammenarbeit mit dem Berliner Ingenieur BOCHELER entwickelten "Sanguimeters", eines vereinfachten, empfindlichen pH-Meßgerätes, ausgestattet mit einer Kalomel-KCI-Bezugselektrode und einer nadelförmigen Antimon-Wasserstoffelektrode zur intravenösen Messung im strömenden Blut. Dabei ergaben sich konstitutions-, alters- und krankheitsbedingte generelle Bereiche, die nur geringfügige Schwankungen unter aktuellen Einflüssen aufwiesen. Sie wurden von zahlreichen Nachprüfern bestätigt und liegen für den gesunden Erwachsenen zwischen pH 7,4 und 7,6, also im niedrigen alkalischen Bereich. Kinder und Jugendliche weisen darunterliegende Mittelwerte auf, mit zunehmendem Alter und während der Entwicklung bösartiger Erkrankungen steigt der pH-Quotient über die Altersnorm hinaus an. Dazu proportional tritt die erwähnte Höherentwickung der Siphonosporen in ihre pathogenen Stadien ein. Über seine weiteren Forschungen auf diesem Gebiet sprach v. BREHMER 1933 auf dem Internationalen Chirurgenkongreß in Paris, wobei er insbesondere auf die diagnostische Bedeutung seiner mikrobiologischen und hämatologischen Befunde für die Onkologie sowie auf deren Zusammenhänge mit psychischen und physischen Faktoren, Atmung und Ernährung hinwies. Priorität gestützt auf amtliche Nachprüfung Durch Vergleiche der Blut-Meßwerte mit Veränderungen der Siphonosporen in pH-variierten Kulturen erkannte v. BREHMER den Entwicklungskreislauf dieser Mikroben. Er gab den verschiedenen Stadien eine neue Nomenklatur, ohne von den seit Jahren und Jahrzehnten bereits vorliegenden Nomenklaturen Notiz zu nehmen. In seinen Schriften nannte v. BREHMER zwar eine Reihe früherer Blutmikrobenforscher wie AASER, BITTNER-GREEN, DECHOW, ENDERLEIN, FONTI, FRICK, GYE, KOCH, NEBEL, MORI, ROUS, SCHMIDT, SPENGLER, v. VOLKMANN u.a., verwahrte sich aber energisch gegen jeden Versuch, die Priorität und Exklusivität seiner Befunde anzuzweifeln (siehe die Monographie "Siphonospora polymorpha v. Br. ", S. 133), obwohl es keinen Zweifel geben kann, daß alle diese Beobachtungen und Beschreibungen einen und denselben Mikroorganismus betrafen, denn - Ironie des Schicksals - dies wurde wenige Jahre später durch einen Schüler v. BREHMERs, EBERHARD MAYER, bakterioiogisch und serologisch nachgewiesen. Außerdem legte ENDERLEIN um die gleiche Zeit seine Erkenntnisse über den Polymorphismus und die Zyklogenie der Endobionten vor, die alle Erscheinungsformen und und Entwicklungsstadien vom Virus bis zum Pilz vorwegnahmen, bei v. BREHMER aber keine Anerkennung fanden. VON BREHMER stützte sich mit der von ihm beanspruchten Priorität auf die Ergebnisse offizieller Nachprüfungen der Siphonosporen durch das Reichsgesundheitsamt unter REITER und LANGE in den Jahren 1932 bis 1934, die diese Mikrobe zwar als neue, bis dahin unbekannte Bakterienspezies anerkannten, nicht jedoch deren karzinogene Eigenschaft. Hinsichtlich der Priorität ist diese Feststellung insofern irrelevant, als Vergleiche mit von anderer Seite früher gefundenen Blut- und Gewebsparasiten nicht stattgefunden haben, wie sie MAYER - siehe oben - durchgeführt hat. Bei Annahme einer generellen oder mindestens weitgehenden Identität darf die offizielle Anerkennung also auch für die anderweitigen Befunde gelten. Die Krebsgenetik der höheren Entwicklungsstufen Wie bei den ENDERLEINschen Endobionten nimmt auch die Entwicklung der Siphonosporen ihren Ausgang von Größenordnungen an der Grenze der Sichtbarkeit und darunter. Diese Stadien bedingen ein relativ saures Gewebs- bzw. nur schwach alkalisches Blutmilieu. Mit zunehmender Alkalität desselben bilden sich die mit einem Gestaltswandel zu Kokken und Stäbchen ("Symprotite" und "Ascite" nach ENDERLEIN) verbundenen höheren Entwicklungsstufen, denen v. BREHMER dann auch die potentiell krebsgenetische Fähigkeit zuschreibt. In Kulturen tritt die Umwandlung des Nährbodens in Richtung Alkalität und der Siphonosporen in ihre virulenten Formen auch spontan ein, am schnellsten auf Agrarnährböden, weshalb sich diese für Zwecke der Stadienbeobachtung weniger als Bouillon eignen. Überimpft man solche Kulturen wieder auf saures Milieu, so zerfallen die höheren Stadien zu kleinen und kleinsten Partikeln, kehren also morphologisch und funktionell zu ihren frühen Entwicklungsstufen zurück. Diese Beobachtungen decken sich ebenfalls mit den Feststellungen ENDERLEINs und gaben v. BREHMER in gleicher Weise Anlaß zu therapeutischer Nutzanwendung. Der Stadienwandel der Siphonospora polymorpha v. Br. ist folgender: Stadium 1: Die "Spore", aus einem runden "Kernkörperchen" bestehend (dem ENDERLEINschen "Protit" entsprechend). Stadium 2: Wachstumszunahme und Teilung der Spore in 2, seltener in 4 Kernkörperchen. Zwischen den Stadien 1 und 3 wird ein invisibles "Schwärmerstadium" angenommen (man beachte die genaue Kongruenz mit den von ENDERLEIN viel besser differenzierten und interpretierten Primitivstadien). Stadium 3: Bildung von "Sporen" in "Sporangien". Auswachsen und Platzen derselben unter Freiwerden weiterer "Sporen" (eine in diesem Zusammenhang mißverständliche, da für höhere Entwicklungsstadien der Pilze gebräuchliche Bezeichnung. Zutreffender sind die ENDERLEINschen Termini "Symprotite", "Ascite" usw.). Stadium 4: Vergesellschaftung der freien Sporen aus Sporangien oder auch aus dem Stadium 7 zu"Doppelsporen" oder seltener "Tetrasporen". Stadium 5: Auskeimung der Doppelsporen zu 2 "Schläuchen", der Tetrasporen zu 4 "Schläuchen" (später als"Stäbchen" bezeichnet). Stadium 6: Teilung des Inhaltes der Schläuche in meist 6 rechteckige Partikel. Stadium 7: Teilung dieser Partikel durch Einschnürung zu Sporen und Freisetzung derselben. Möglich sind Weiterbildung zu Sporangien, Schläuchen oder „Dauersporen“ . Über die bei Krebskranken vorherrschenden Stadien schreibt v. BREHMER: "Nicht im Blut gesunder Menschen, sondern nur in dem von Karzinompatienten sind mehr oder weniger lange, schlauchartig aussehende Körperchen zu beobachten, die meist an den Erythrozyten herumkriechen, mitunter mit einem Ende an letzteren sitzen und mit dem freien Ende im Serum liegend, sich peitschenartig bewegen. Ihre Stärke beträgt um 0,5 gm, ihre Länge variiert erheblich. Schwimmen diese schlauchartigen Gebilde frei im Serum, dann bewegen sie sich, mal kürzer, mal länger werdend, teils schlängelnd, teils sich überschlagend im Gesichtsfeld vorwärts". Forschungen führten auch zu Arzneimitteln Nach heftigen Auseinandersetzungen mit Behörden und Regierungsstellen schied v. BREHMER 1937 aus dem Staatsdienst aus. Im gleichen Jahr wurde das von ihm und seinem Mitarbeiter CORNET 1935 zu Forschungszwecken übernommene Parazelsus-Institut in Nürnberg aufgelöst. V. BREHMER setzte seine Arbeit daraufhin in eigenen Laboratorien fort, zunächst in Behin-Groß-Glienicke, nach Kriegseinwirkung dort 1945 in Hamburg und schließlich ab 1947 in Bad Kreuznach. Die Dunkelfelddiagnostik wurde weiter entwickelt, eine serologische Diagnostik gemeinsam mit ALBATH angebahnt. Bereits ab 1935 liefen Versuche zur Herstellung einer avirulenten Siphonospora-Vaccine für therapeutische Zwecke. Ausgangsmaterial für die Herstellung des Präparates „Arthrisinal“ war eine Siphonosporakultur aus gangränösen Zahnpulpen und Wurzelgranulomen. Es wurde zur Behandlung von rheumatisch-arthritischen Krankheiten, Neuralgien und Herpes zoster empfohlen. Dem Präparat "Toxinal", später"Arthrisinal U", lag ein mitigiertes Ultrafiltrat (Formoltoxoid) aus hochvirulenten Stäbchenkulturen zugrunde. Es fand Anwendung bei Geschwulsterkrankungen aller Art. Beide Präparate sind jetzt als ARTHROKEHLAN „A“ und ARTHROKEHLAN "U" Produkte von SANUM-Kehlbeck. Es entstand ferner um 1950"Sclerotin", eine Vaccine aus Kulturen des für den Menschen apathogenen Schildkröten-Tuberkelbazillus Sclerothrix antitubercul. Friedmanni. Auch dafür konnte v. BREHMER keine Authentizität beanspruchen, denn die Heilwirkung des Kaltblütertuberkels war seit seiner Entdeckung und Einführung in die Therapie durch FRIEDRICH FRANZ FRIEDMANN 1912 bekannt. Als Anningzochin, ART, Friedmannvaccine, Utilin, SV und SVS Enderlein waren diese Präparate seit dieser Zeit gegen tuberkulöse und paratuberkulöse (tuberkulotoxische) Erkrankungen in Anwendung. Sclerotin wurde zur Unterstützung der Arthrisinaltherapie empfohlen. Das Lebenswerk und der jahrzehntelange Kampf FRIEDMANNs um Wahrheit und Anerkennung findet bei v. BREHMER kein Wort der Erwähnung. Wissenschaftlich unkorrekt ist deshalb auch die Bezeichnung"Sclerotin v. Brehmer" in „Archiv der IFA“, Bd. IV, Heft 3, S. 15. Forschungen flossen ein in Colloquien und Kongresse In Bad Kreuznach hielt v. BREHMER regelmäßige Konferenzen und Ausbildungskurse, aus denen sich die „Internationale Freie Akademie“ (IFA) entwickelte, deren erster Kongreß 1950, deren siebter und letzter 1956 stattfand. Es gab zwei von ehemaligen IFA-Mitgliedern getragene Nachfolgeorganisationen, in denen das v. BREHMERsche Gedankengut noch viele Jahre weiterlebte: 1. Die "Internationale Medizinische Gesellschaft für Blut- und Geschwulstkrankheiten" unter der Leitung von SCHELLER mit einer eigenen Zeitschrift. Sie veranstaltete zahlreiche Colloquien und mehrere Kongresse, den letzten 1969 unter Mitwirkung einiger ehemaliger IFA-Mitglieder (ALBRECHT, FARRENSTEINER, FREIHOFER, HAMBROOK, KAHLERT, WINDSTOSSER u.a.) in Bad Salzuflen, 2. Die"Gesellschaft für prä- und postoperative Tumortherapie" unter der Leitung von ALBRECHT und WERKMEISTER. Sie richtete als eine ihrer letzten Veranstaltungen 1969 eine Krebstagung in Bad Salzuflen, 1974 einen Kongreß in Bad Neuenahr aus, moderiert durch WINDSTOSSER. Zwischen 1970 und 1980 lösten sich im Zuge neuer Erkenntnisse und erweiterter Zielsetzungen sowie infolge Rückgangs der Mitgliederzahl auch diese Gesellschaften allmählich auf. Ihre Aufgaben im Bereich der ganzheitlichen, immunologischen Krebstherapie wurden von anderen, größeren Organisationen übernommen, die in diesem Sinn mit zahlreichen Mitgliedern, angesehenen Zeitschriften, Kongressen und anderer Öffentlichkeitsarbeit noch heute tätig sind. Die Vorkämpfer dieser Richtung, unter denen v. BREHMER trotz mancher Einwände gegen die Priorität seiner Mikroben-Terminologie, jedoch aufgrund der Einführung des Wasserstoffpotentials in die Blutdiagnostik einen hervorragenden Platz einnimmt, haben auf diese Weise ihre Anerkennung und Nachfolge gefunden. Blutparasiten-Forschung ist auf neuen Wegen Auch für die Siphonospora polymorpha v. Br. und alle wesensgleichen Blutparasiten sind neue Zeiten angebrochen. Im Sinne ihrer Entdecker wurden sie nie international anerkannt, aber 1960 von mehreren bakteriologischen Instituten als "Corynebacterium parvum" identifiziert und sind als solche der "Propioni-Gruppe" zugeordnet. Unter dieser Bezeichnung führt sie das international verbindliche Standardverzeichnis aller weltweit anerkannten Mikroorganismen "Bergey's Manual of Systematic Bacteriology", Bd. 2, Williams & Wil-kins, Baltimore - London - Los Angeles - Sydney, dem auch die EG und alle ihr angehörenden Gesundheitsbehörden einschließlich des BGA verpflichtet sind. Die Propioni-Stämme wurden früher nur auf der Haut, neuerdings auch auf der Mundschleimhaut und sogar im Blut gefunden. Vielleicht gelingt es der orthodox-wissenschaftlichen Forschung eines Tages, deren Verbindung mit dem Krebsgeschehen nachzuweisen, an die so viele Außenseiter geglaubt haben und noch glauben. Veröffentlichungen von WILHELM von BREHMER Archiv der Internationalen Freien Akademie, Kongreßberichte Bd. 1/1951, Bd. 11/1953, Bd. 111/1954, Bd. 1W1955/56. Krebs - eine Erregerkrankheit. Fortschritte der Medizin, 12/1932. Die Messung der Wasserstoffionenkonzentration (pH-Wert) im Organismus, eine neue diagnostische Methode. Die Medizinische Welt, 49/1933. Siphonospora polymorpha n.sp., ein neuer Mikroorganismus und seine Beziehungen zur Tumorgenese. Die Medizinische Weit, 34/ 1934. Paracelsus-Institut, Schrift 1: Gründung und Aufgaben. Verein Deutsche Volksheilkunde, Nürnberg, 1935. Siphonospora polymorpha v. Br. in ihrer Bedeutung für Blut- und Geschwulstkrankheiten unter besonderer Berücksichtigung des Krebs. Linck-Verlag Hermann Linck, Haag/Amper, 1947.
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