von Dr.med. Karl Konrad Windstosser
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III. |
Therapeutischer Teil |
Redaktionelle Anmerkung: Dieses
Buchkapitel hatte Dr. Windstosser schon 1954 publiziert; es hat heute
noch praktisch die gleiche Bedeutung wie vor 50 Jahren und wird daher
unverändert hier übernommen Deutsche Homöopathische Monatsschrift Herausgegeben im Auftrage des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte von Prof. Dr. H. Rabe, Berlin, und Dr. E. Unseld, Stuttgart 5. Jahrgang, Stuttgart, 15, Dezember 1954, Heft 12, Seite 583‑587 HOMÖOPATHISCHE EINZELMITTEL UND ARZNEIGEMISCHEvon K. Windstosser Der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte hat schon gelegentlich seiner 99. Hauptversammlung in Bad Tölz im Mai 1938 eine diesbezügliche, von Dr. Hanns Rabe gezeichnete Entschließung gefaßt und für seine Mitglieder als verbindlich erklärt. Sie wurde als Beilage der Nr. 2/1939 der Allg. Hom. Zeitung veröffentlicht und an die Mitglieder des DZV abgegeben. Leider hat sich in der Angelegenheit „homöopathische Arzneigemische“ auch in den Jahren seither im wesentlichen nichts geändert, es sei denn zum Schlechteren. Die immer mehr um sich greifende Gepflogenheit der pharmazeutischen Industrie, willkürlich zusammengesetzte Gemische homöopathischer Grundstoffe als „Homöopathie“ zu propagieren und zu vertreiben, läßt es ratsam erscheinen, den Wortlaut der damaligen Stellungnahme des DZH in etwas erweiterter und ergänzter Form erneut zu veröffentlichen und ihn vielleicht als Sonderdruck allen Interessenten zur Verfügung zu stellen. Mit zunehmender Beachtung der Homöopathie in ärztlichen und nichtärztlichen Kreisen ging parallel das Bestreben der pharmazeutischen Industrie, von der Homöopathie erfolgreich benutzte Arzneimittel möglichst intensiv für die eigenen Zwecke dienstbar zu machen und deren Verordnung auch Nichthomöopathen zu erleichtern. Dies geschieht durch Mischung der verschiedenen Tinkturen, Verdünnungen und Verreibungen und oft durch Bezeichnung dieser Gemische mit einem einprägsamen, wissenschaftlich klingenden Namen. Die Präparate werden von den Firmen für die üblichen Krankheitsbegriffe zusammengestellt und empfohlen, nicht selten werden auch alphabetische Verzeichnisse dazu geliefert mit den genauen Indikationen von Abortus bis Zystitis. Für diese zusammengesetzten Mittel hat sich die Allgemein‑Bezeichnung „Komplexmittel“ eingebürgert, mit Abwandlung dieser Bezeichnung in die geschützten, mehr oder weniger homöopathisch klingenden Namen der einzelnen Herstellerfirmen. Haben nun diese willkürlichen, bestenfalls nur in ihren Bestandteilen, nicht aber in ihrer fertigen Form am gesunden Menschen geprüften Gemenge noch etwas mit Homöopathie zu tun? Die Homöopathie beruht auf dem Vergleich der jeweiligen Krankheitssymptome in ihrer Gesamtheit mit den Erscheinungen, die ein einzelner Arzneistoff im gesunden Organismus hervorruft („Arzneibild“). Mit dem vorliegenden Krankheitsbild vergleichen läßt sich aber nur ein durch Zusammenstellung der diesbezüglichen Beobachtungen bekannt gewordenes Arzneibild. Es handelt sich stets darum, das dem Einzelfall möglichst genatt entsprechende Arzneimittel zu finden. Nur hierfür ist der Begriff der Ähnlichkeit (homoion) also berechtigt. Die Ähnlichkeitsbeziehung ist grundlegend für den Begriff und die Bezeichnung »Homöopathie“ überhaupt. Ihre Befolgung setzt eine genaue Kenntnis der Arzneiwirkungen voraus. Hahnemann hat hierfür die Unterlagen geschaffen und so den Weg zur Wahl des einzelnen angezeigten Heilmittels gewiesen. Schon er ist der Verschreiberei von Vielgemischen energisch entgegengetreten, zum Verdruß der Apotheker seiner Zeit. Er widmete diesem Thema im Organon mehrere Seiten und Fußnoten. Der diesbezügliche § 273 lautet: „ln keinem Falle von Heilung ist es nötig und deshalb allein schon unzulässig, mehr als eine einzige, einfache Arzneisubstanz auf einmal beim Kranken anzuwenden. Es ist nicht einzusehen, wie es nur dem mindesten Zweifel unterworfen sein könne, ob es naturgemäßer und vernünftiger sei, nur einen einzelnen, einfachen, wohl bekannten Arzneistoff auf einmal in einer Krankheit zu verordnen, oder ein Gemisch von mehreren, verschiedenen. In der einzig wahren und einfachen, der einzig naturgemäßen Heilkunst in der Homöopathie, ist es durchaus unerlaubt, dem Kranken zwei verschiedene Arzneisubstanzen auf einmal einzugeben,“ Die einzelnen homöopathischen Symptomenbilder wurden seit über einem Jahrhundert an Hunderten und Tausenden von Arzneiprüfungen erhärtet und detailliert. Diese Tatsache ist wissenschaftlich anerkannt und muß die Grundlage jeder weiteren Entwicklung der Homöopathie bleiben. Die Januar‑Nummer von „The Homoeopathic Outlook“ 1953 brachte die 40jährigen Erfahrungen eines der ältesten noch lebenden homöopathischen Ärzte in England, Sir John Weir. Er war ein Schüler Kents, dessen Leitsätze er bei dieser Gelegenheit erneut aufzuführen als besonders wichtig erachtete. Diese sind: „Gebe nur eine Arznei, sonst wirst du nie etwas aussagen können über die Ursache des Erfolges oder Mißerfolges. Sei vorsichtig in der Wiederholung der Arznei. In chronischen Fällen nur eine einzige Dosis. Gib nie mehr als unbedingt erforderlich ist, d. h. gib die Arznei so schwach wie möglich. Beachte wohl die Erstverschlimmerung.“ Kent sagte: „Sei stets eingedenk, daß jeder Fall nur ein einziges Arzneimittel benötigt, ob dieses zur Zeit bekannt sei oder nicht. In der Homöopathie können die Arzneimittel niemals einander vertreten.“ Die Schwierigkeit der Arzneimittelwahl kann also nicht durch Mischung mehrerer „vielleicht“ in Frage kommender Stoffe umgangen werden. Es bedeutet eine Fälschung, der Methode Hahnemanns, wenn Arzneigemische ‑ welcher Art auch immer ‑ unter Berufung auf die Homöopathie hergestellt und vertrieben werden. Es gibt keine homöopathischen Arzneimittel an sich. Jeder naturgegebene Stoff kann dazu werden, wenn er nach homöopathischen Grundsätzen verarbeitet und angewandt wird, d. h. nach der Ähnlichkeitsregel und unter Berücksichtigung der entgegengesetzten Wirkung stärker und schwacher Dosierung. Entscheidend sind aber immer die Bedingungen des Einzelfalles, da homöopathisch keine Krankheitsgattung, kein organpathologischer Begriff, sondern ein krankes Einzelwesen, eine kranke Persönlichkeit behandelt werden soll. Eine fertige Arzneimischung kann diese Bedingungen niemals erfüllen, da sie ausschließlich für Krankheitsgattungen bestimmt ist und den Grundsatz der individuellen Mittelwahl nicht berücksichtigt. Die zunehmende Zahl solcher Fertigfabrikate, auch von Firmen, die als „homöopathisch eingestellt“ gelten, untergraben das Ansehen der Homöopathie und das Verständnis für dieselbe. Ob die Reklame das Wort „homöopathisch“ selber dabei benutzt oder nicht, ist gleichgültig. Schon eine Anpreisung unter Bezugnahme auf die homöopathische Literatur oder eine gleichwertige Aufführung neben echt homöopathischen Arzneien ist irreführend. Jede wissenschaftliche Prüfung angeblicher Heilerfolge wird nach homöopathischen Grundsätzen für solche Präparate unmöglich, da die Voraussetzungen der Ähnlichkeitsbeziehungen fehlen. Die betreffenden Arzneigemenge sind also im homöopathischen Sinn als überflüssig anzusehen. Das nicht selten bemühte Bürgische Gesetz von der potenzierenden Wirkung verschiedenartiger, aber am gleichen Organsystem angreifender Arzneikomponenten ist insofern hier nicht anwendbar, als es sich nur auf allopathische Arzneigemische bezieht, für die bekanntlich ganz andere Wirkungsprinzipien gelten als für homöopathische Mittel. Leider enthält auch der sonst sehr lesenswerte Aufsatz des 80jährigen Kollegen Türk aus Mühlheim/Ruhr in Nr. 4/1954 der AHZ wieder einen solchen irrtümlichen Hinweis auf das Bürgische Gesetz. Der Einwand, jeder naturgegebene Stoff, besonders pflanzlichen Ursprungs, wie er von der Homöopathie angewendet wird, sei bereits ein „Komplex“, ist insofern abwegig, als es sich dabei um naturbedingte, gewachsene „Einheiten“ handelt, deren innere Harmonie keinesfalls von künstlichen bzw. willkürlichen Gemischen erreicht werden kann. Ebenso wie die Homöopathie die natürliche Zusammensetzung der tierischen und pflanzlichen Arzneistoffe achtet und ihre Aufspaltung in einzelne, vom Grundstoff differente Komponenten vermeidet, ebenso lehnt sie auch eine Mischung natürlicher Stoffe ab, soweit dafür weder eine Notwendigkeit, noch eine scharf umrissene Anwendungsanzeige besteht. Hahnemann sagt: „Je zusammengesetzter unsere Rezepte sind, desto finsterer wird es in der Arzneikunde“. Die hiermit gekennzeichneten, von der Industrie immer zahl - und wahlloser hergestellten Arzneigemische werden vorwiegend von Laienpraktikern und Ärzten verordnet, denen eine tiefere Kenntnis der homöopathischen Arzneimittellehre fehlt, die aber doch der zeitbedingten Konjunktur für „biologische Heilkunst“ Rechnung tragen möchten. Ihnen bilden jene „Komplexmittel“ eine bequeme Brücke, die scheinbar zu einer „Auch-Homöopathie“ führt. Tatsächlich entfernen Sie sich damit aber immer weiter vom Kern der Hahnemannschen Lehre. Die feste Fügung der Bestandteile der Komplexmittel erlaubt keine individuelle Anpassung an den Krankheitsfall. Ebenso wird jede feinere Variationsmöglichkeit, wie sie wahrhaft erprobte homöopathische Mittel in ihrer großen Potenzierungsskala besitzen, bei solchen Fertigfabrikaten unmöglich. Eine suggestive Anpreisung etwa mit der Wendung „in optimaler Dosis“ ist ein Hohn angesichts der auch nach Bier so entscheidend wichtigen, wie schwierigen Aufgabe des Arztes, diese optimale Dosis des im vorliegenden Einzelfall angezeigten Mittels zu finden. Die Verordnung eines sog. „Komplexmittels“ kann also nur nach allgemeinen diagnostischen Gesichtspunkten erfolgen, wie sie in der Allopathie üblich sind, für die regelrechte homöopathische Therapie aber keinesfalls ausreichen. Die Komponenten dieser Mittel mögen wohl gewisse gemeinsame Organbeziehungen haben, durch die Eigentümlichkeit ihrer Arzneimittelbilder sind sie aber unter sich häufig sehr widerspruchsvoll. Auch die für den erfahrenen Homöopathen äußerst wichtige Gegensätzlichkeit bestimmter Mittel (der sog. Antidote) ist bei vielen Komplexmittel völlig außer acht gelassen. Wenn man ferner in Betracht zieht, daß die Verordner von Komplexen im einzelnen Krankheitsfall „vorsichtshalber“ oft mehrere derselben gleichzeitig geben, so daß der Patient u. U. täglich unter die Wirkung von 30 – 40 Arzneistoffen gesetzt wird, während Hahnemann das Streben nach dem Einzelmittel immer in den Vordergrund seiner Lehre gestellt hat, so wird der Abgrund zwischen beiden Richtungen besonders offenbar. Arzneigemische in dem angegebenen Ausmaß können - dies gilt für die Homöopathie ebenso wie die für die Allopathie - bedenkliche Folgen haben und führen nicht selten vollständigen Reaktionsmüdigkeit des Organismus auf jeden arzneilichen Reiz. Sie sind daher vom Standpunkt der ärztlichen Erfahrung und unabhängig von ihrer Lehrmeinung abzulehnen. Andererseits soll aber auch nicht verkannt werden, daß es Ärzte gibt - und weiterhin geben wird - die weder aus Gewinnsucht noch aus Mode, sondern als ultima ratio ein „Komplexmittel“ nach allgemein-diagnostischen Gesichtspunkten verordnen, dann zu ihrer Überraschung einen therapeutischen Effekt des vermeintlichen Homöopathicums feststellen und so zu einem ernsthaften Studium der klassischen Homöopathie gelangen, weil ein faustisches Suchen sie dazu treibt. Diese Kollegen sind uns herzlich willkommen, wobei wir wiederum nicht verkennen wollen, daß mancher von ihnen, sobald er vor uns als Schüler sitzt, beschämt verschweigt, auf welchem Umweg er zur reinen Lehre Hahnemanns gekommen ist. Wenn wir in dieser einzigen Hinsicht ein „Komplexmittel“ gelten lassen, so soll zugleich auch anerkannt werden, daß dank unsere unermüdlichen Bemühungen einige Industrien dieses Sektors in jüngster Zeit deutliche Ansätze zur Ehrlichkeit und Sauberkeit zeigen, indem sie in der mündlichen und schriftlichen Interpretation solcher „Komplexmittel“ nicht mehr das Wort „Homöopathie“ verwenden, auch auf das Bürgische Gesetz in der Propaganda verzichten und offen darauf hinweisen, diese Mittel „nach allgemein-diagnostischen Gesichtspunkten“ zu verordnen. Ein begrüßenswerter Anfang! Wären Gemische in ihrer Wirkung den Einzelmitteln wirklich gleichwertig oder überlegen, so wäre die Frage zu stellen, wo denn überhaupt die Grenze der Mischbarkeit liegt. Letzten Endes könnte man sich vorstellen, daß einfach alle homöopathische Mittel insgesamt in eine Flasche gegeben und umgeschüttelt werden, in der kühnen Erwartung, daß sich der Körper schon die für ihn geeigneten Substanzen und Wirkungen herausholen werde. Dies schließt nicht aus, daß von Fall zu Fall nach gewissenhaft ärztlicher Entscheidung auch einmal zwei oder mehrere homöopathische Mittel Anwendung finden. Es ist dem ärztlichen Gewissen dann anheim gestellt, diese gleichzeitig oder in geeignetem Wechsel zu verabreichen. Ein solches Vorgehen ist aber von der handelsüblichen „Komplexhomöopathie“ immer noch grundlegend verschieden. Wirksame Mittel werden sich unabhängig von jeder Theorie durchsetzen. Doch dies darf nicht unter falscher Flagge geschehen. Um der Reinhaltung der Hahnemannschen Lehre willen muß verlangt werden, daß jeder Mißbrauch der Homöopathie unterbunden wird. Darüber hinaus wäre festzustellen, inwieweit die in Frage kommenden pharmazeutischen Präparate für die Volksgesundheit überhaupt angezeigt und notwendig sind. |
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NEU: www.windstosser-museum.info
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