von Dr.med. Karl Konrad Windstosser
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II. | Allgemeiner und historischer Teil |
Neun Jahre nach Erscheinen der vorausgehenden Denkschrift über
Chemotherapie (6.5. a) schrieb der gleiche Autor in "Hiscia
Jahresbericht 1996“ aus weiter gediehener Erfahrung folgendes von
hohem Verantwortungsbewußtsein erfülltes, jedem vor dieser
Entscheidung stehenden Arzt wie Patienten hilfreiches Expose:
„Soll ich die bei mir vorgesehene Chemotherapie durchführen lassen oder nicht?" So lautet eine der häufigsten Fragen, die uns Patienten stellen, die uns bis dahin unbekannt waren. Fast nie kann sie mit Ja oder Nein beantwortet werden, schon gar nicht etwa am Telefon. Selbst wenn uns die wichtigsten Daten über Art, Ausdehnung und Verlauf der Tumorerkrankung bekannt sind, so fehlt doch meistens die Kenntnis dessen, was man "die umfassende Persönlichkeitsstruktur“ nennt. In den meisten Fällen werden Empfehlungen zytotoxischer Therapie von Kliniken gegeben, die ihr Handeln vermeintlich von strengen wissenschaftlichen Grundsätzen ableiten. Von diesen wird aber gerade bei der Verordnung von Chemotherapie besonders häufig abgewichen. Eine durch Studien und Erfahrung gesicherte Lebensverlängerung von "Heilung" ganz zu schweigen - gibt es nach wie vor leider nur bei einer sehr kleinen Gruppe von Malignomen, gerade aber nicht bei den häufigsten Krebsarten wie Mamma-, Lungen-, Magen-, Leber-, Haut- und -Unterleibs-Ca,(siehe die Arbeiten von ABEL 1984 und 1989). Selbst wenn es unter Chemotherapie zu einer Rückbildung des bestehenden Tumors kommt, besagt dies leider nicht - wie man früher hoffte -, daß hieraus auch eine Verlängerung der Überlebenszeit resultiert. Im Gegenteil: Nicht selten wird nach einer chemotherapeutisch erzielten, vorübergehenden Tumorverkleinerung ein besonders schnelles und zum Tod führendes Wachstum erlebt („Iatrogene Immunsuppression“ - Der Verf.). Warum nahm und nimmt die Anwendung chemotherapeutischer Behandlungen bei fast allen Krebsformen und -stadien zu, ohne daß fundierte Studienergebnisse für die jeweilige Situation vorliegen? Warum werden die Möglichkeiten einer Chemotherapie in den verschiedenen Medien Laien gegenüber in geradezu sträflicher Form geschönt und verharmlost? Warum fällt ein Therapieverzicht explizit bei diesen aggressiven Substanzen so schwer, obwohl man als Arzt beim Einsatz solcher mit Sicherheit weißt: Eine Schädigung des Organismus ist unausweichlich programmiert? Die Zahl der Fälle, bei denen durch zytotoxische Therapie die schon vorher schwierige Situation nicht nur nicht verbessert, sondern erheblich verschlechtert wird ist leider sehr groß. Die hier waltenden Motive sind zahlreich. Sicher ist, daß nicht nur sachliche Überlegungen im Sinne einer nüchternen Nutzen/Risiko-Abwägung, sondern auch persönliche Meinungen und Glaubensinhalte ausschlaggebend sind. Hierzu gehören unter anderem: Über- oder Unterschätzung der Wirkungen und Nebenwirkungen; unkritische Übernahme oder Nachahmung anderweitiger Studien oder klinischer Ergebnisse, die für den speziellen Fall nicht anwendbar oder kontraindiziert sind (z.B.Chemotherapie bei den allermeisten Formen des Mamma-Cas); Verlust des Einfühlungsvermögens in eine individuelle Krebstherapie bei Erstarrung in einer ausschließlich wissenschaftlich orientierten, quantifizierenden Denkweise; fehlendes oder verdrängtes Eingeständnis der eigenen Ohnmacht, über keine sinnvolle Therapie zu verfügen; die absurde Befürchtung, man könne den Patienten aus psychologischen Gründen nicht ohne jegliehe Therapie lassen, zumal dann die Gefahr bestehe, ihn mittlerweile an die Alternativmedizin zu verlieren. Die aufgezeigten Probleme sollten nun aber keinesfalls zu einer pauschalen Ablehnung jeder zytostatischen Therapie führen. Abgesehen von den wenigen bekannten Geschwulstformen bei Kindern und Jugendlichen, bei denen zumindest in bestimmten Stadien eine unterschiedlich große Wahrscheinlichkeit der positiven Wirkung für ihren Einsatz spricht, gibt es durchaus Situationen, die eine Anwendung zytostatischer Präparate im Sinne der Palliation, z.B. der Schmerzlinderung oder der Abwendung von Lebensgefahr, durchaus rechtfertigen können. Was läßt sich aus dieser Betrachtung für den jeweils betroffenen Patienten ableiten? Zu allererst die für viele Anwender und Kranke vielleicht ernüchternde Erkenntnis: Es gibt im individuellen Fall nicht den richtigen oder falschen Entscheid für oder gegen eine Chemotherapie. Eine - und sicher nicht die schlechteste Möglichkeit in dieser schwierigen Situation ist die, dem Rat des oder der mit dem Wesen des Patienten und seiner bisherigen Behandlung vertrauten Arztes oder Ärztin zu folgen. Das Vorhandensein eines/einer Therapeuten/in, dem/der man im Krankheitsfall bedingungalos vertraut, ist aber heute nicht mehr selbstvertändlich. Wenn es so wie zu Hausarztes Zeiten wäre, bekämen wir nicht so viele diesbezügliche Anfragen. Es gibt meines Erachtens bei der Frage "Chemotherapie - ja oder nein?" für den Betroffenen sinnvollerweise nur eine Möglichkeit, den für ihn individuell optimalen Weg zu finden. Zu dieser Entscheidung und Wegweisung können aus den erwähnten Gründen Studienergebnisse und klinische Statistiken nur bedingt einen Beitrag leisten. Von ausschlaggebender Bedeutung ist ein möglichst mehrmaliges Gespräch mit dem Arzt des Vertrauens, wobei alle Fragen, z.B. gerade auch die nach klinischen Ergebnissen, rückhaltlos gestellt, erörtert und beantwortet werden sollten. Daraufhin aber auch die meditative Versenkung und das Hinhören auf die eigene innere Stimme, sei es im stillen Kämmerlein, in der Kirche oder in der Natur. Mit oder ohne Chemotherapie kann es im weiteren Verlauf zu einem Fortschreiten der Erkrankung kommen. Dies gilt im übrigen für alle angebotenen Therapieformen. Sofern ich je über den Entscheid mitgetragen habe und meiner inneren Stimme gefolgt bin, so war dieser Umstand ein weitgehender Schutz gegen die sonst vielleicht bis zum erlösenden Ende für beide Seiten quälende Frage: Was wäre geschehen, wenn ... ? Bleiben Sie skeptisch, wenn Sie das Gefühl haben, es werde Druck auf Sie ausgeübt, irgendeine Therapie, insbesondere aber eine Chemotherapie, zu akzeptieren. Äußerungen wie: „Wenn Sie diese Therapie nicht durchführen lassen, haben Sie keine Chance mehr" oder "Dann leben Sie nur noch kurze Zeit" müssen als unseriös und irreführend bezeichnet werden, zumal wenn sie in vorwurfsvollem oder gar drohendem Ton vorgehalten werden. Ebenso sollten vielversprechende Lobreden über die Erfolgsaussichten einer bestimmten Therapie skeptisch werden lassen. Seien Sie sich immer bewußt, daß Ihnen ein Arzt oder eine Ärztin - mögen auch noch so viele Titel und Würden vor dem Namen stehen - eine bestimmte Therapie immer nur empfehlen kann. Lösen Sie sich von der Vorstellung, Sie müßten etwas tun oder über sich ergehen lassen, weil es von dieser oder jener kompetenter Stelle so angeordnet wurde. Besonders tragisch ist die von völlig falschen Voraussetzungen ausgehende Motivation: "Ich beuge mich dieser belastenden Therapie aus Rücksicht meinen Kindern und meiner Familie gegenüber". Die Ursachen der Krebserkrankung im allgemeinen, individuellen Falles im besonderen, sind auf allen hierfür relevanten Ebenen nicht oder nur ahnungsweise bekannt. Man wird aber annehmen dürfen, daß Chemotherapie nichts ändern kann an den seelischen und körperlichen Störungen, die der Geschwulstbildung vorausgegangen sein müssen, um sich sodann erst physisch zu manifestieren. Sie hat einzig und allein die Aufgabe und Fähigkeit, maligne Zellen zu schädigen oder abzutöten. Dies kann in gewissen Fällen durchaus eine Hilfe sein, besonders wenn sich das therapeutische Konzept nicht nur darauf beschränkt, sondern dem Kranken zusätzliche Verbesserung seines Allgemeinbefindens und seiner körpereigenen Abwehr vermittelt. In anderen Fällen jedoch kann durch die einverleibten Zytotoxine die ohnehin schon schwierige Situation weiter verschlechtert werden. Dann helfen weder dem Therapeuten noch dem Patienten die Versicherungen und das Bewußtsein, die Behandlung nach den "neuesten, onkologisch gültigen Standards" durchgeführt zu haben. Voraussetzung und Basis für die Empfehlung oder Ablehnunge einer Chemotherapie sollte - wie oben angegeben - immer ein ausführliches Arzt-Patientgespräch sein, bei dem der Patient jede Möglichkeit hat, seine Fragen zu stellen und sich auszusprechen, der Behandler seinerseits den Patienten mit allen seinen Wünsehen, Ängsten und Hoffnungen kennenlernen sollte, nicht nur hinsichtlich seiner letzten Endes doch sehr abstrakten, klinischen und diagnostischen Daten. So geschieht es nicht selten, daß wir bei gleicher Diagnose, was Tumorart und -stadium betrifft, im einen Fall mehr zu- im anderen mehr abraten hinsichtlich einer vorgesehenen Chemotherapie. Ähnliches gilt übrigens auch für Bestrahlungen und für Hormontherapie. Die Durchführung jedweder Therapie gegen die "innere Stimme" sowohl des Behandlers als auch des Patienten - nicht zu verwechseln mit der Angst vor kurzfristigen, therapeutisch beeinflußbaren Nebenwirkungen - ist kaum je wirklich erfolgreich. Es ist zu hoffen, daß in Zukunft die gesunde kritische Haltung der Patienten zu- und die reine "Anordnungsmedizin" bei einem großen Teil der Ärzteschaft abnimmt." |
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NEU: www.windstosser-museum.info
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