von Dr.med. Karl Konrad Windstosser
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II. | Allgemeiner und historischer Teil |
„Sobald die Maske der Kosmetik fällt, resultiert die Forderung, Krebsforschung und Krebstherapie neu zu orientieren. Wann wird dies geschehen? Es behaupte keiner, daß die Wege dazu nicht aufgezeigt wären.“ ERNST KROKOWSKI (1926 - 1985) Viel Glanz und Elend, viele Um- und Irrwege waren der Onkologie in dem seit VIRCHOW vergangenen Jahrhundert beschieden, bis es 14 Jahre nach dem ZABELschen Bekenntnis - einem "orthodoxen" Röntgenologen endlich gelang, den wissenschaftlichen Beweis für fundamentale Fehler im lehrmedizinischen Konzept zu erbringen, was so vielen schulmedizinischen und "alternativen" Kritikern in Ermangelung dieses Beweises vor ihm nicht gelungen war. Prof. ERNST KROKOWSKI (1926 - 1985), Leiter des Zentral-Röntgeninstituts und der Strahlenklinik des Stadt-Krankenhauses in Kassel, baute seine neue Lehre auf langjährigen Beobachtungen des Metastasenwachstums auf und wurde nicht müde, die daraus zu ziehenden Schlußfolgerungen bis zu seinem allzu frühen Tod 1985 mit Überzeugungskraft zu publizieren. KROKOWSKI hatte den Mut, 1978 mit dem Vortrag "Verändertes Konzept der Krebsbehandlung“ vor seine Kollegen zu treten und eine Revision mancher festgefahrener Lehrmeinung zu fordern. Die von ihm vertretene Auffassung spiegelt sich schon hinreichend in den aufrüttelnden Titeln seiner vielen kleineren Beiträge, die - vorwiegend erschienen in MEDICAL TRIBUNE und in ÄRZTLICHE PRAXIS - hier ziemlich vollzählig in ihrer chronologischen Reihenfolge zwischen 1977 und 1985 aufgeführt seien:
Von besonderer Bedeutung ist jedoch der oben erwähnte Vortrag, gehalten von KROKOWSKI gelegentlich des von ihm geleiteten Kongresses der DEUTSCHEN AKADEMIE FÜR MEDIZINISCHE FORTBILDUNG 1978 in Kassel. Er stand unter dem Motto "Kritische Gedanken - Neue Wege". Die damals ausgesprochenen Erkenntnisse und Nutzanwendungen haben bis heute nicht das geringste an Aktualität verloren. Deshalb und zum Gedenken des hervorragenden Forschers und Lehrers folgt hier mit freundlicher Genehmigung des Georg Thieme Verlages der volle Wortlaut des Vortrages einschließlich seiner begleitenden instruktiven Bilder. Ernst Krokowski VERÄNDERTES KONZEPT DER KREBSBEHANDLUNGWenn wir den gegenwärtigen Stand der Krebstherapie überdenken, so zeigt sich eine deutliche Diskrepanz: Einerseits wurden große Erfolge der palliativen Therapie erzielt, die Behandlungsnebenwirkungen konnten reduziert, die Remissionszeiten verlängert und das Leben mit der Krankheit erträglicher gemacht werden. Andererseits treten wir mit der kurativen Krebstherapie seit 20 bis 25 Jahren auf der Stelle: Bezogen auf gleiche Tumorstadien konnten in den letzten 2 bis 3 Jahrzehnten keine entscheidenden Fortschritte erzielt werden, obwohl die Narkose-, Operations- und Bestrahlungstechnik eine kaum zu steigernde Perfektion erreicht hat. Auch mit den modernen Verfahren konnten bisher keine einschneidenden Erfolgsverbesserungen erzielt werden: Der Einsatz von Neutronenstrahlen dient in erster Linie der lokalen oder palliativen Tumortherapie, die Hyperthermie hat v. ARDENNE [1] selbst von der klinischen Anwendung in das Experimentalstadium zurückgeführt, die Gewebeübersäuerung ist noch im Versuchsstadium und die adjuvante Chemotherapie bezeichnen U. BRUNTSCH und C. G. SCHMIDT [4] 1977 - zumindest für das Mammakarzinom - noch als experimentelle Therapie ohne erwiesenen Nutzen. Geringfügige Verbesserungen der kurativen Krebstherapie gehen auf das Konto besserer und früherer Diagnostik, so daß Patienten in einem günstigeren Stadium zu Behandlung kommen als früher. Echte Erfolgsverbesserungen konnten lediglich bei den Quasi-Krebserkrankungen, wie Leukämie und Morbus Hodgkin sowie einigen kindlichen Tumoren erzielt werden - aber diese machen kaum 2% aller Malignome aus! Für das Bronchialkarzinom zeigt die Statistik von 16 Kliniken nach chirurgischer Behandlung von fast 15 000 Patienten eine 5-Jahres-Überlebensquote von 23%, aber nur ein Drittel aller Patienten waren operabel, so daß die 5-Jahres-Überlebensquote sämtlicher Patienten 7% betrug - wie 1954! [2,15] Die Parallelstudie von 17 Kliniken über das Bronchialkarzinom, die nur strahlentherapeutisch behandelt wurden, also von vornherein in ungünstigerer Ausgangslage waren, ergab, daß von rd. 7500 Patienten nur 2% die 5-JahresGrenze erreichten - also auch hier keine Erfolgssteigerung innerhalb von 25 Jahren [15,9]. Über das Magenkarzinom berichtete kürzlich PICHLMAYR u. Mitarb. aus der Universitätsklinik Hannover [16]. Nach diesen Untersuchungen betrug die 5-Jahres-Überlebenszeit im Frühstadium 77%, aber nur etwa 6% aller Patienten mit einem Magenkarzinom befinden sich in einem Frühstadium! Betrachtet man sämtliche Patienten mit einem Magenkarzinom, so beträgt die 5-Jahres-Überlebensrate ungefähr 10%, d. h. innerhalb von 25 Jahren ist auch hier keine Erfolgssteigerung zu verzeichnen! Für das Mammakarzinom betrug die 5-Jahres-Überlebensquote im Jahr 1938, also vor 40 Jahren nach einer Statistik aus dem Massachusetts General Hospital 38%, 1959 nach einer Sammelstatistik Von BENNINGHOFF unci TSIEN [3] an nahezu 26.000 Mamma-Ca-Patientinnen 44% und 1976 nach eigener statistischer Auswertung 42%. Das bedeutet. daß innerhalb von 40 Jahren keine nennenswerte Erfolgssteigerung zu verzeichnen ist. Die bei allen statistischen Untersuchungen gefundene relativ große Schwankungsbreite der 5-Jahres-Überlebensquote zwischen 25% und 60% beruht ausschließlich auf der unterschiedlichen Zusammensetzung des Patientengutes, wie die eingehenden Untersuchungen von BENNINGHOFF und TSIEN gezeigt haben. Befinden sich mehr Frühfälle im Kollektiv, so fallen die Erfolgszahlen relativ günstig aus, enthält das Kollektiv mehr Spätfälle, das ist im allgemeinen bei einem größeren Anteil an Landbevölkerung am Gesamtkollektiv der Fall, so resultieren ungünstigere Erfolgszahlen. Der kürzlich veröffentlichte Report des National Cancer-Institutes brachte für eine Zusammenfassung aller Krebsarten eine 5-Jahres-Überlebensrate von 39% für den Zeitraum von 1950 bis 1959 und eine von 41% für den Zeitraum von 1967 bis 1973 - also eben keine nennenswerte Erfolgssteigerung in 20 Jahren! Diese Feststellungen zwingen zu dem Schluß, daß die Palliativbehandlung der Krebserkrankung auf dem richtigen Wege ist, die kurative Therapie jedoch nicht, denn weder die technische Perfektion noch die Ausdehnung der Operationen brachte den erhofften Erfolg. Somit drängt sich die Frage auf, ob vielleicht in unserem Therapiekonzept ein Fehler steckt. Wenn wir ein sog. Frühkarzinom diagnostizieren, wird im allgemeinen so schnell wie möglich die operative Entfernung des Primärtumors angestrebt, und es gelingt in diesem Stadium fast stets, den Tumor, z. B. ein Mammakarzinom einschließlich der regionalen Lymphknoten zu entfernen. Das Problem der Krebsbeseitigung scheint gelöst, und die erste Nachuntersuchung nach einem halben Jahr ergibt ebenso wie die Kontrolluntersuchung nach einem Jahr den Befund "frei von Metastasen“. Auch die dritte Nachuntersuchung, eineinhalb Jahre nach der Operation ergibt meist keinerlei pathologische Veränderungen; die folgende Kontrolluntersuchung, die zwei Jahre nach der Operation vorgenommen wird, zeigt dann sehr häufig ein "Aufschießen von Lungenmetastasen". Dieser Befund wird als schicksalhaft angesehen, die Palliativbehandlung wird eingeleitet, aber nunmehr ist eine endgültige Heilung in Frage gestellt, wenn nicht ausgeschlossen. Diese Schilderung entspricht einem sehr häufig zu beobachtenden Krankheitsverlauf. Beim Mammakarzinom beträgt das "metastasenfreie Intervall" im allgemeinen 2 bis 2 ½ Jahre - vorn Operationstermin an gerechnet. So lange brauchen die Metastasen um von ihrer Entstehung die diagnostische Grenze von einem Zentimeter Durchmesser zu erreichen und auf dem Röntgenbild erkennbar zu werden. Da sämtliche Metastasen im allgemeinen zum gleichen Zeitpunkt entstanden sind, überschreiten sie auch nahezu zur gleichen Zeit die diagnostische Grenze, und man hat den Eindruck des "Aufschießens" der Lungenmetastasen. Tatsächlich aber wachsen sie kontinuierlich und relativ langsam. Das sog. metastasenfreie Intervall, also die Zeitspanne zwischen dem Operationstermin und der Diagnostizierbarkeit von Lungenmetastasen beträgt aber nicht bei allen Tumoren 2 bis 2½ Jahre. Bei den schnell wachsenden Geschwülsten wie Melanomen, Sarkomen und Seminomen, treten Metastasen sehr viel früher in Erscheinung, d. h. bereits nach 6 bis 18 Monaten, bei den langsam wachsenden Tumoren, wie Darmtumoren und Hypernephromen, dagegen erst nach zwei bis vier oder mehr Jahren; so lange brauchen sie, um von der metastatischen Zellimplantation bis zur diagnostischen Erkennbarkeit heranzuwachsen. Auf Grund dieser Tatsachen lassen sich die metastasenbedingten verläufe verschiedener Geschwulsterkrankungen schematisch folgendermaßen darstellen: |
Der Vergleich beider Darstellungen zeigt: Je kürzer die Tumor-Verdoppelungszeit, desto kürzer das sogenannte metastasenfreie Intervall. Oder anders ausgedrückt: Je länger die Tumor-Verdoppelungszeit bzw. je langsamer das jeweilige Geschwulstwachstum, desto länger ist der zeitliche Abstand zwischen der Operation und dem Auftreten von Lungenmetastasen auf dem Röntgenbild. Eingehende Untersuchungen haben diese Korrelation bestätigt. [12]. (Anm.d.Verf.: Laut eines Beitrages von KROKOWSKI in MITTEILUNGSDIENST Nr.18/1977 der GESELLSCHAFT FÜR BIOLOGISCHE KREBSABWEHR wurden die Beobachtungen von 2.893 Metastasen-Verläufen bei 568 Patientinnen und Patienten ausgewertet). Diese Feststellung enthält zugleich eine Kritik am TNM-System zur Klassifizierung bösartiger Geschwülste. Dieses Einteilungsprinzip beschreibt ausschließlich den gegenwärtig erkennbaren pathologischen Befund, also eine onkologische Topographie ohne Erfassung des zeitlichen Geschehens. Das TNM-System enthält somit keine Aussagen über die Geschwindigkeit des Tumorwachstums, d.h. der Dynamik der Geschwulsterkrankung. Es bedarf daher der Ergänzung. Die Lungen-Serienaufnahme C, die daraus abgeleitete Wachstumskurve D und die dazugehörige Graphik E zeigen den Verlauf der Metastasierung eines Sarkoms und deren schubweise Verschlimmerung im zeitlichen Zusammenhang sowohl nach der primären Resektion des Tumors als auch jeweils nach den vier Resektionen lokaler Rezidivtumore: |
Durch die
subtotale Entfernung des Primärtumors und die folgenden 4 Operationen
der Lokalrezidive wurden jeweils Lungenmetastasen ausgelöst. Die Serie
der Thoraxaufnahmen zeigte die verschieden rasch wachsenden Lungenherde. Diese
Feststellung erlaubt zugleich eine Kritik am TNM-System zur
Klassifikation bösartiger Geschwülste. Diese Einteilung beschreibt
ausschließlich den gegenwärtig erkennbaren pathologischen Befund, also
eine onkologische Topographie ohne Erfasssung des zeitlichen Geschehens.
Das TNM-System enthält also keine Aussagen über die Geschwindigkeit
des Tumorwachstums, also die Dynamik der Geschwulsterkrankung und bedarf
daher der Ergänzung.
Zeitintervalle zwischen dem Opeationstermin und der Diagnosestellung von Lungenmetastasen verschiedener Tumorarten.
Tumor-Verdoppelungszeiten der verschiedenen Tumorarten.
2. Metastasen entstehen nur aus dem Primärtumor oder dem Lokalrezidiv. Ein eindrucksvolles Beispiel zeigt die Analyse der Lungenmetastasen eines Retothelsarkoms, bei dem Lungenmetastasen vom Primärtumor und den 4 Lokalrezidiven entstammten. 3. Metastasen entstehen im allgemeinen in einem Schub oder in nur wenigen Schüben. 4. Aus den gemessenen Wachstumskurven gelingt es unter bestimmten Voraussetzungen auf den Entstehungszeitpunkt der Metastasen zu schließen. Dabei zeigt sich, daß es Metastasen gibt, die schon zur Zeit der Diagnosestellung vorhanden waren, aber sich noch in der klinisch stummen Phase befanden und somit der Diagnostik entzogen. Diese seien als spontane Metastasen bezeichnet. Darüber hinaus fanden sich Metastasen, die zum Zeitpunkt der Operation entstanden waren und die als provozierte Metastasen bezeichnet wurden. Ihre Häufigkeit liegt je nach der Tumorart zwischen 30 und 90%, wie in den Graphiken F und G dargestellt. |
2. Metastasen entstehen nur aus dem Primärtumor oder dem
Lokalrezidiv. Ein eindrucksvolles Beispiel zeigt die Analyse der
Lungenmetastasen eines Retothelsarkoms, bei dem Lungenmetastasen vom
Primärtumor und den 4 Lokalrezidiven entstammten.
3. Metastasen entstehen im allgemeinen in einem Schub oder in nur wenigen Schüben. 4. Aus den gemessenen Wachstumskurven gelingt es unter bestimmten Voraussetzungen auf den Entstehungszeitpunkt der Metastasen zu schließen. Dabei zeigt sich, daß es Metastasen gibt, die schon zur Zeit der Diagnosestellung vorhanden waren, aber sich noch in der klinisch stummen Phase befanden und somit der Diagnostik entzogen. Diese seien als spontane Metastasen bezeichnet. Darüber hinaus fanden sich Metastasen, die zum Zeitpunkt der Operation entstanden waren und die als provozierte Metastasen bezeichnet wurden. Ihre Häufigkeit liegt je nach der Tumorart zwischen 30 und 90%, wie in den Graphiken F und G dargestellt. |
Wovon hängt es nun ab, ob unsere Therapie zur Heilung oder zur Metsastasenprovokation und damit zur Verschlimmerung der Krankheit führt? Drei Faktoren bestimmen die schicksalsschwere Entscheidung: 1. Die Streufähigkeit (Transplantabilität) der betreffenden Tumorart Die Metastasierungsbereitschaft verschiedener Tumoren unterschiedlicher Lokalisation und histologischer Struktur differiert sehr stark, so hat z. B. ein Bronchuskarzinom von 3 cm Durchmesser Größe bereits in 98% der Fälle Metastasen ausgestreut, ein Mammakarzinom gleicher Größe in 50% und ein hypernephroides Karzinorn von 3 cm Durchmesser in nur 2% der Fälle. 2. Die Größe der Geschwulst. Je ausgedehnter der Primärtumor ist, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit der provozierten Metastasierung - wobei der Größe in Relation zur Streufähigkeit zu setzen ist. Je größer das Herdvolumen, umso größer kann das Streuvolumen sein. Nach DENOIX [5] weist ein an Krebs Verstorbener im Mittel 20 Metastasen auf. Zur Entstehung jeder einzelnen Metastase sind mindestens 1 000 Tumorzellen nötig. Da Metastasen im allgemeinen in einem Schub entstehen, bedeutet das, daß insgesamt 20 000 Tumorzellen - das entspricht einem Volumen Von 0,15 MM3 - zu einem bestimmten Zeitpunkt an 20 Stellen als Metastasen abgesiedelt werden. Da aber nur einem Bruchteil der vom Primärtumor abgelösten und ausgestreuten Tumorzellen die Implantation gelingt, muß mindestens ein Zellvolumen von 1 mm3 vorn Primärtumor zu einem Zeitpunkt abgelöst worden sein; und das ist nur von einer bestimmten Größe der Primärgeschwulst an möglich. 3. Die allgemeine und lokale Abwehrlage des Wirtsorganismus Wir beobachteten, daß eine tumorferne und tumorunabhängige Gallenblasenoperation zur Metastasierung eines Ovarialtumors führte, also nicht die mechanische Alteration der Primärgeschwulst war für die Metastasierung ausschlaggebend, sondern der unter Narkose ausgeführte operative Eingriff an sich. In der Mehrzahl aber werden die Metastasen durch einen diagnostischen oder therapeutischen Eingriff am Primärtumor selbst ausgelöst. Daß "die Krebsoperation keineswegs nur als lokaler Eingriff anzusehen ist, sondern entscheidende Einwirkungen hat" sagen DRUCKREY u. Mitarb. bereits vor vier Jahrzehnten aufgrund ihrer Tierversuche mit Impf- und Benzpyren-Geschwülsten [6]. "Die meisten (Tiere) bekamen nach der Operation Metastasen und gingen an diesen u. U. sogar früher zugrunde als die nicht operierten Tiere am Primärtumor". Fast im Gleichklang mit diesem Zitat von DRUCKREY u. Mitarbeitern steht die klinische Beobachtung von GREGL [8], daß alte Frauen mit einem unbehandelten Mammakarzinorn mitunter länger leben als Frauen gleichen Alters nach palliativer oder radikaler Therapie. Dies bedeutet, daß der Mißerfolg unserer therapeutischen Bemühungen mit unserer Behandlung selbst mitgeliefert wird. Die Provozierung von Metastasen durch die Therapie erklärt auch die Konstanz der Heilquote seit zwei bis drei Jahrzehnten. Aus diesen Feststellungen folgt, daß wir unser Therapiekonzept ändern müssen. Bestehen bleibt das Ziel, den Primärtumor zu beseitigen, einmal als Raumforderung, zum anderen aber als Metastasenquelle. Ursächlich für die Krebskrankheit ist die Krebsgeschwulst, klinisch relevant und schicksalsbestimmend ist jedoch im allgemeinen die Metastasierung! Am Primärtumor selbst sterben kaum mehr als 20% aller Krebspatienten, etwa 80% erliegen den Folgen der Metastasierung. Während unsere heutige Therapie von sog. Frühfällen ausschließlich auf den Primärtumor gerichtet ist, muß als gleichrangiges Ziel die Vermeidung der Metastasierung hinzukommen. Daher soll der Beseitigung des Primärtumors eine Metastasenprophylaxe vorangestellt werden. Sie soll das Angehen von z. Zt. der Operation vermehrt ausgeschwemmten Tumorzellen verhindern oder doch implantierte Mikrometastasen vernichten. Dazu brauchen nicht einmal sämtliche Tumorzellen einer Mikrometastase vernichtet zu werden, sie brauchen nur unter die sog. kritische Zellzahl reduziert zu werden, dann gehen sie allein zugrunde, wie Tierversuche bewiesen haben [14]. Zur Metastasenprophylaxe seien vier Möglichkeiten vorgeschlagen: 1. Aggregationshemmer oder Antikoagulantien. 2. Vorbestrahlung, entweder in Form der unmittelbar präoperativen Strahlentherapie oder als "radiogener Schutzeffekt", d.h. als Ganzkörper- bzw. Abschnittsbestrahlung mindestens 4 Wochen vor dem operativen Eingriff. Einzelheiten in [11] 3. Immunstimulantien. 4. Verschiedene Substanzen, die derzeit zur Prüfung anstehen. Neben der Metastasenprophylaxe muß auch die Frage der Behandlung von Lymphknotenmetastasen neu überdacht werden. Dazu einige Aussagen in Stichworten: 1. Selbst bei subtilster Mammaoperation können nur höchstens die Hälfte aller Achsellymphknoten entfernt werden; das bedeutet: Eine radikale Lymphknoten-Ausräumung gibt es nicht! Größere Mammaoperationen haben keine Verbesserung der Heilquote erbracht, weder die Ausräumung parasternaler Lymphknoten noch die gleichzeitige Amputation der gesunden Mamma. TAPFER und HILTMAIR [17]wiesen an über 800 Zervixkarzinomen nach, daß die Lymphknotenausräurnung in 91,5% der Fälle unvollständig und überflüssig war. 2. Es ist gesichert, daß z. B. beim Mammakarzinom Heilungen möglich sind, auch wenn Lymphknotenmetastasen belassen wurden. Hieraus ist zu folgern, daß Lymphknotenmetastasen biologisch anders zu werten sind als Organmetastasen. Bei Vorhandensein von Organmetastasen ist - von Ausnahmen abgesehen - eine endgültige Heilung nicht mehr zu erreichen. 3. Der Untergang von Krebszellen in Lymphknoten ist vielfach nachgewiesen. Es hat sich gezeigt, daß bei Mikrometastasen in regionalen Lymphknoten die Prognose nicht schlechter als ohne Lymphknotenmetastasen ausfällt. Man muß wohl zwischen tumorzellhaltigen und tumorzerstörten Lymphknoten unterscheiden. Die schlechtere Prognose bei Vorhandensein von zahlreichen Lymphknotenmetastasen besteht nicht, weil diese Lymphknotenmetastasen vorhanden sind, sondern weil sie anzeigen, daß ihre Barriere durchbrochen und eine weitere Ausbreitung der Geschwulst bereits erfolgt ist. 4. Krebszellen finden sich im strömenden Blut gleich häufig, ob mit oder ohne Lymphknotenmetastasen. Die Aussaat von Fernmetastasen geht vom Primärtumor aus! 5. Auch werden Nachteile der Entfernung von Lymphknoten genannt: So stellt HELLRIEGEL [10] fest, daß Metastasen durch die Lymphknotenentfernung nicht aufgehalten werden, ja, die Abwehrlage gegen den Metastasierungsprozeß sogar geschwächt wird. Auch DRUCKREY u. Mitarb. beschreiben [6], daß erst die Exstirpation regionaler Lymphknoten im Tierversuch zur generellen Aussaat führte. Die gleiche Beobachtung machten FISHER u. FISHER [7]. An dieser Stelle sei ausdrücklich betont, daß es bei dieser Betrachtung nur um solide Krebsgeschwülste, nicht aber um Leukämien oder Hodgkinlymphome geht. Ein Beispiel möge die Fragwürdigkeit der Lymphknotenexstirpation vor Augen führen: Es sei ein klinisches Frühstadium eines Tumors, also das Stadium T2 NO Mo, angenommen. Bei dieser klinischen Klassifizierung könnte es sich inWahrheit handeln um: a) das tatsächlich diagnostizierte Stadium T2N0M0: Hier wäre eine Exstirpation der Lymphknoten überflüssig, da sie gar nicht befallen sind, b) es könnte aber in Wahrheit auch das Stadium T2 N+MO vorliegen; hier wären also tumorzellhaltige, aber doch nicht zerstörte Lymphknoten vorhanden. Nach den obigen Ausführungen erscheint auch hier die Lymphknotenentfernung nicht erforderlich. c) Es könnte sich um das (klinisch nicht erkannte) Stadium T2 N+M+ handeln, also um ein Stadium mit bereits vorhandenen, aber noch klinisch stummen Fernmetastasen. In diesem Falle käme eine Lymphknotenentfernung ohnehin zu spät Also ist die Lymphknotenentfernung überhaupt zu rechtfertigen und notwendig? Mit diesem Beispiel sollte keineswegs eine verbindliche Richtlinie für die Therapie von Lymphknoten gegeben werden, vielmehr sollte gezeigt werden, daß wir von dem derzeitig starren Therapieschema abrücken sollten. Für das neue Therapiekonzept ist notwendig, 1. die Metastasenprophylaxe einzuführen und 2. die Behandlung der Lymphknoten zu überprüfen. Ich hoffe, damit einen Weg gewiesen zu haben, der endlich aus der Stagnation der kurativen Krebstherapie herausführt. Abschließend sei mir in aller Deutlichkeit eines anzufügen erlaubt: Meine Absicht ist nicht, Chirurgen, Strahlentherapeuten oder Ärzten im allgemeinen den Kampf anzusagen - ganz im Gegenteil: Wir müssen zusammenarbeiten, sogar enger als bisher. Aber wir sollten den gleichen Mut aufbringen wie SEMMELWEIS 1860 bezüglich des Kindbettfiebers, den gleichen Mut, den Fehler im heutigen Konzept der Behandlung der Krebserkrankungen zu erkennen und zu korrigieren! Nur allzu häufig erweist die Forschung von heute den Irrtum von gestern! |
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NEU: www.windstosser-museum.info
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