Zur Situation des Krebsgeschehens gegen Ende des 20. Jahrhunderts und zur Verdeutlichung der daraus resultierenden Gefahr für die Menschheit nicht nur unseres mitteleuropäischen Lebensraums, ist es erforderlich, sich einige Zahlen zu vergegenwärtigen. Sie entstammen hauptsächlich dem KREBSATLAS DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND [3], Mitteilungen der DEUTSCHEN KREBSHILFE und anderer offizieller Organisationen, ferner Kongreßberichten oder kompetenten Literaturzitaten sowie den Angaben des Statistischen Bundesamtes.
Eine umfassende wissenschaftliche Studie des Onkologen BAILAR nebst Mitarbeitern (USA), veröffentlicht im New England Journal of Medicine 19/1986, kam zu dem Ergebnis, daß unter dem gesamten Zahlenmaterial epidemiologischer Forschung allein die alterskorrigierte Krebsmortalität als signifikantestes und objektivstes Kriterium für Rückschlüsse aller Art verwertbar ist. Nur sie offenbart alle eventuellen Auswirkungen der Altersstruktur ebenso deutlich und unbestechlich wie die Effizienz der Früherkennung, der Diagnostik und der Therapie.
Im Bereich der Bundesrepublik Deutschland - ohne die neuen Länder, für die bei Abschluß dieses Kapitels noch keine Daten vorlagen - war der Krebs in allen seinen Varianten 1992 mit 175 000 Opfern die zweithäufigste Todesursache nach den Herz- und Kreislauferkrankungen. Dies entsprach täglich rund 480, stündlich 20 Sterbefällen. Hier die Vergleichszahlen früherer Jahre:
1972 |
144.120 |
1974 |
152.400 |
1976 |
153.580 |
1979 |
154.600 |
1980 |
157.000 |
1983 |
164.250 |
1986 |
166.000 |
1989 |
169.200 |
Angesichts dieser Zahlen ist an einer echten und kontinuierlichen Zunahme der Krebshäufigkeit nicht zu zweifeln. Man kann nicht einwenden, die Erfassung der Todesursachen habe sich während der letzten 20 Jahre verbessert oder die Menschen seien älter geworden (siehe oben) und damit häufiger in das Alter erhöhter Krebsgefahr gekommen.
Die Zahl aller gleichzeitig an Krebs Erkrankten beiderlei Geschlechts in der gesamten Bundesrepublik, geschätzt an Hand der Krebsregister des Landes Hamburg und des Saarlandes, liegt bei 1,8 - 2 Millionen, was rund 1,5 % der Bevölkerung entsprechen würde. G.A. NAGEL (Onkologische Klinik in Freiburg) gibt diese Zahl mit rund 8 Millionen viermal höher an. Wenn jeder 5. Mensch an Krebs stirbt, könnte es durchaus zutreffen, daß jeder 10. im Laufe seines Lebens an einem Malignom erkrankt. Jährlich erkranken etwa 350.000 aller Altersstufen an einem solchen neu, unter ihnen etwa 2000 Kinder (Angaben der Deutschen Krebshilfe 1991 in AP und der Bayerischen Krebsgesellschaft im Rundschreiben 2/1992).
Frühbehandlung, aller in den hoch subventionierten Tumorzentren entwickelten Therapiekonzepte, aller in die Krebsforschung investierten Milliarden (6.1.) erliegen immer noch 70 – 80 % der Krebsopfer ihrem Leiden, wenn wir von den Heilerfolgen bei den prozentual kaum in Erscheinung tretenden Leukosen, Lymphomen und Hodentumoren von Kindern und Jugendlichen einmal absehen. BAUER (2) gab für alle Geschwulstleiden bei Einsatz aller damals zur Verfügung stehenden Behandlunsmethoden eine Fünfjahres-Heilungsquote von 17,8 % an, mithin ein Zuspätkommen oder Versagen der Therapie in 82,2 % der Patienten. Diese etwa 40 Jahre zurückliegende Angabe dürfte mit lediglich punktuellen Ausnahmen im wesentlichen noch heute gelten. Wie oben gezeigt, lassen alle seither hinzugekommenen diagnostischen und therapeutischen Errungenschaften keinen Rückgang der Krebssterblichkeit erkennen. Nach BECKER (4) waren gemäß einer Statistik der Universitätsklinik Jena nur 28 % der dort aufgenommenen Krebskranken operabel, 72 % inoperabel und nach Erfahrung dieser Klinik - mit verschwindenden Ausnahmen.. "inkurabel", d.h. unheilbar. Daß die an solchen Todeskandidaten vielerorts noch versuchsweise eingesetzte Chemotherapie global gesehen keinen Tag der Lebensverlängerung zu erreichen vermag, hat ABEL (1) in seiner Aufsehen erregenden Studie des DEUTSCHEN KREBSFORSCHUNGSZENTRUMS nachgewiesen. SOERGEL [6] gibt die während der ersten zwei Jahre nach Abschluß der klinischen Behandlung auftretenden, mit hoher Mortalität belasteten Rezidive mit 85,7 % an, SCHRIMPF (5) mit 74,1 % für das erste postoperative Jahr, mit 12,7 % für das zweite und mit 6,7 % für das dritte Jahr (6.8.).
Randomisierte multizentrische Studien unter Einbeziehung von Statistiken führender Kliniken wie Mayo in Rochester, Radiumhemmet in Stockholm u.a. (wobei also keinerlei Auswahl der Patientinnen oder deren Tumorbefunde stattfand) ergaben für Brustkrebs - über den hier und in 6.3. des weiteren zu berichten sein wird – eine fünfjährige Rezidivfreiheit von 50 % mit +/- 5 %. Selbst diese diagnostisch und chirurgisch relativ leicht zugängliche Geschwulst kostet also im Schnitt immer noch jede zweite davon befallene Frau das Leben (6.3.).
Mit der Häufigkeit der verschiedenen Geschwulstformen während der letzten Jahrzehnte beschäftigte sich das Bundesgesundheitsamt und kam zu folgenden Ergebnissen:
Abnehmende Erkrankungshäufigkeit und Sterblichkeit liegt vor für Krebskrankheiten des Magens, der Gebärmutter und der Knochen. Bei Hodgkin-Lymphomen ist ein Rückgang nur für Männer nachzuweisen, bei der Gesamtzahl aller Geschwulsterkrankungen nur für Frauen.
Zunehmende Inzidenz und Mortalität weisen die Krebsformen der oberen Atmungs- und Verdauungswege auf, besonders bei jüngeren Männernn (trotz rückläufiger Zahl der Raucher). Der Dickdarmkrebs älterer Männer hat, wohl als Folge immer primitiver werdender Ernährung – zunehmende Tendenz.
Deutlich ansteigend sind Erkrankungshäufigkeit und Sterblichkeit für Malignome des Bindegewebes und der Weichteile (Sarkome), der Niere, der Lunge (rauchende Frauen?) und der Haut (Melanome).
Der Anteil der Krebsfälle unter sämtlichen Todesursachen stieg während der letzten 40 Jahre bei den Männern von 15 % auf 23 %, bei den Frauen von 17 % auf 23 %. Bei Kindern und Jugendlichen führt Krebs häufiger zum Tod als Infektionskrankheiten, Herz- und Kreislauferkrankungen. Er wird in diesen frühen Altersstufen nur durch den Unfalltod übertroffen, der erst ab dem 30. Lebensjahr zahlenmäßig zurücktritt. An seine Stelle rückt der Tod an Herz- und Kreislaufschäden, dicht gefolgt vom Krebstod. Noch ist dieser bei Männern in keiner Altersstufe dominierende Todesursache. Bei den Frauen jedoch übersteigt der Krebs jenseits des 40. Lebensjahres bis über das 60. hinaus die Sterblichkeit an allen anderen Krankheiten und ist damit zur geschlechtsspezifisch häufigsten Todesursache geworden.
Die Zahl der in der BRD (ohne die neuen Länder) jährlich an Brustkrebs erkrankenden Frauen liegt bei etwa 30.000. Wurden 1965 noch 70 unter 100.000 Frauen davon befallen, so waren es 1985 bereits 80. Ohne Berücksichtigung des Altersunterschiedes muß jede 10. Frau damit rechnen, im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs zu erkranken. Vor 30 Jahren war noch jede 12. davon bedroht. Während damals der Altersgipfel der Brustkrebspatientinnen bei den 55- bis 65-Jährigen lag, sind seit etwa 1980 überwiegend Frauen in der Prämenopause, zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr, davon betroffen, mit zunehmender Beteiligung noch jüngerer Jahrgänge.
Hinsichtlich der Frühdiagnostik dieser Tumore mittels Mammographie, Senographie usw. (6.2.) ist ein vorerst nicht mehr steigerungsfähiges Optimum erreicht. Es gelingt die Entdeckung der Gewebsverdichtung bereits ab einer Größe von 10 mm in 17,6 % aller klinisch manifest werdenden Geschwülste. Aber weder diese Tatsache noch die unentwegt verbesserte Therapie konnten verhindern, daß die Zahl der an Mammakarzinom verstorbenen Frauen zwischen 1975 und 1990 um 26 % anstieg (Angabe der Universitäts-Frauenklinik Erlangen für den Bereich Bayern auf Grund einer seit 1964 laufenden Langzeitbeobachtung in DÄ 14/1993).
Rückläufig sind bei den Frauen hinsichtlich Inzidenz und Mortalität die Geschwülste des Gebärmutterkörpers, der Speiseröhre, des Magens, des Bindegewebes und der Knochen. Zunehmende Tendenz weisen auf die Karzinome des Gebärmutterhalses, der Eierstöcke, der Mundhöhle und des Rachens, des Darmes, der Gallenblase, des Pankreas und der Lunge, ferner der lymphatischen und der blutbildenden Organe.
Zum Unterschied gegenüber den Männern, bei denen die Malignome der Lunge etwa ¼ aller Krebstodesfälle verursachen, nimmt diese Geschwulstart bei den Frauen der BRD vorerst noch die 5. Stelle der Häufigkeit hinter denen des Magens, des Dickdarms und der Eierstöcke ein, jedoch mit steigender Tendenz. In den USA ist der weibliche Lungenkrebs als Folge des dort unentwegt grassierenden Rauchens der Frauen nach dem Brustkrebs bereits an die 2. Stelle der Krebstodesfälle vorgerückt. Einer Meldung der Zeitung USA today zufolge ist die Zahl der Todesfälle an Lungenkrebs unter amerikanischen Frauen während der letzten Jahrzehnte geradezu explodiert. Waren es 1960 noch 5,6 von 100.000 Frauen, starben 1990 bereits 31,8 daran. Zum Vergleich: 1960 starben in den USA 25,9 von 100.000 Frauen an Brustkrebs, dreißig Jahre später 27,5 - ein der Zunahme in Europa entsprechender Anstieg. Nach den jüngsten Schätzungn werden 1994 etwa 56.000 Amerikanerinnen an Lungenkres sterben, 10.000 mehr als an Brustkrebs. Man vermutet, daß sich das Rauchen (und die Umweltgifte) bei dem kleineren Lungenvolumen der Frauen stärker auswirkt als beim Mann (BIOSYN 1/94).
Bei den Männern haben seit 1950 außer den Tumoren der Speiseröhre, des Magens, des Bindegewebes und der Knochen in gleicher Weise alle übrigen Geschwulstarten zugenommen. Insbesondere ist eine Verdoppelung des Lungen- und Bronchialkrebses zu verzeichnen, Folge des Rauchens und der atmosphärischen Intoxikation. An 3. und 4. Stelle folgen mit etwas geringerer Zunahmetendenz der Dickdarm- und der Prostatakrebs. Diese 4 Tumorarten verursachen insgesamt fast 60 % aller Todesfälle krebskranker Männer.
Dieses deprimierende Bild der herrschenden Krebssituation - an die Stelle der Bundesrepublik könnte man jeden anderen Industriestaat setzen - kennzeichnet noch kontrastreicher als in Abschnitt 1.1. dargestellt die Stagnation und Hilflosigkeit der konventionellen Onkologie. Allen Bemühungen der Chirurgie (6.0., 6.3.), der Radiologie (6.4.), der Chemotherapie (6.5.) und der Endokrinologie (6.6.) verdanken wir nur Teilerfolge. Die Zahl der Krebserkrankungen und die der Krebstoten steigt ungebremst an.
Bedrückender noch als all diese statistischen Zahlen ist der Umstand, daß - bezogen auf gleiche Bevölkerungs- und Altersgruppen - in der Bundesrepublik Deutschland. mehr Menschen an Krebs sterben als in jedem anderen Land der Erde. Nach den von der dpa herausgegebenen Zahlen liegt die Krebs-Sterberate - mit steigender Tendenz - hierzulande um 20 % höher als in den USA und um 30 % höher als in Japan, beides Länder mit vergleichbarer Industrialisierung und ähnlichem Lebensstandard.
Diese Tatsache sollte uns deutschen Ärzten doch sehr zu denken geben. Im Krebsgeschehen spiegelt sich die Krise der Medizin besonders eindrucksvoll und tragisch. Obwohl immer noch in der Minderheit, sind wir als Ganzheitstherapeuten deshalb umso nachdrücklicher aufgerufen, die im Dogma erstarrte Front der herrschenden Onkologie durch Vorleben und Beharrlichkeit von der Bedeutung des lange fälligen Paradigmenwechsels zu überzeugen.
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